Handelsblatt,
11.09.06 08:00
Tesla-Roadster: 220 km/h mit Laptop-Akkus |
Beim Mittagessen hält Martin Eberhard für einen Moment
inne. Natürlich habe er Zweifel, gibt der Unternehmer zu, während er mit
den Stäbchen nach den Sushi fischt. "Zweifel hat man immer. Auch Sorge,
dass noch etwas schief geht. Wir sind schließlich nur ein kleines
Unternehmen."
Solche Demut ist selten im Silicon Valley, wo selbst
Niederlagen oft "großartig" sind. Dabei hätte Eberhard allen Grund zum
Prahlen. Denn sein Unternehmen Tesla Motors, der erste Autohersteller
Kaliforniens, ist die Sensation im Silicon Valley. In nur zweieinhalb
Jahren hat das junge Unternehmen einen Sportwagen mit Elektroantrieb zur
Serienreife entwickelt. Und das mit dem winzigen Budget von 60 Millionen
Dollar.
Und Eberhards Tesla-Roadster ist kein Spielzeugauto. Der
von Experten des Sportwagenherstellers Lotus gestylte Zweisitzer sprintet
in 4,2 Sekunden auf 100 Stundenkilometer - selbst der Supersportwagen
Porsche Carrera GT ist nur ganze drei Zehntel Sekunden schneller. Für den
beeindruckenden Vortrieb und eine Spitzengeschwindigkeit von 220 km/h
sorgt ein 248 PS starker Elektromotor, der seine Energie aus sage und
schreibe 6 831 wiederaufladbaren Lithium-Ionen-Akkus bezieht, wie sie auch
in vielen Laptop-Computern stecken. Mit einer Ladung des Batteriepakets
kommt der Roadster bei zurückhaltender Fahrweise immerhin etwa 400
Kilometer weit.
"Das ist ideal für Kurztrips am Tag", meint der
Konstrukteur. In der Nacht wird das Auto ans Stromnetz gehängt. Das
Aufladen an der heimischen Steckdose über eine Mini-Elektrotankstelle, die
in der Garage der Besitzer ans Stromnetz angeschlossen wird, dauert etwas
mehr als drei Stunden und kostet beim derzeitigen Strompreis in
Kalifornien etwa 2,50 Dollar. Da kommt kein konventionelles Auto mit.
So hatte Eberhard trotz eines Preises von 100 000 Dollar
keinerlei Mühe, in den von explodierenden Benzinpreisen geschockten
Staaten die Erstauflage seines Roadsters zu verkaufen: Vier Wochen nach
der Präsentation des Prototypen waren die 100 Exemplare der sogenannten
Sammler-Serie weg. Unter den Abnehmern sind die Investoren von Tesla und
deren Freunde - der Internet-Adel des Silicon Valley.
Zu Eberhards Finanziers gehören die Google-Gründer Larry
Page und Sergey Brin, der Ebay-Milliardär Jeff Skoll sowie der
Hyatt-Vorstandschef und Hotelerbe Nick Pritzker. Auch Hollywood-Star
George Clooney zauderte nicht lange und stellte nach einer Testfahrt
gleich einen Scheck über den vollen Kaufpreis aus - gezahlt werden muss
bei Tesla sofort, noch vor der Auslieferung des Autos, die im Sommer 2007
beginnen soll. Arnold Schwarzenegger, 59, hingegen war der Tesla zu
schnell. "Langsamer, langsamer", habe der kalifornische Gouverneur und
Ex-Schauspieler gefordert, als ihn einer von Eberhards Mitarbeitern durch
Santa Monica chauffierte.
So bemerkenswert wie das Auto ist seine
Entstehungsgeschichte. Sie erzählt von einem Elektrotechnik-Ingenieur, der
in der Computerbranche zu Geld kam und eines Tages aus Spaß und Neugier
beschloss, einen Elektro-Sportwagen zu entwerfen. Einfach so, ohne
jegliche Erfahrung in der Automobilbranche und ohne Spezialkenntnisse.
"Als es im Studium um Motoren ging, habe ich gepennt."
Martin Eberhard ist ein schmächtiger, aber
durchtrainierter Mann mit stahlblauen Augen. Dass er Multimillionär ist,
ist ihm nicht anzusehen. Eberhard trägt gern Hawaiihemden und fährt
derzeit einen zehn Jahre alten, olivgrünen BMW Z3-Roadster, der schon
190 000 Kilometer auf dem Tacho hat.
Sein Bart lässt Eberhard etwas älter erscheinen als seine
46 Jahre. Früher ging er in seiner Freizeit gern mit dem » Gleitschirm in
die Lüfte. Doch seine Investoren haben ihm das gefährliche Hobby
inzwischen verboten.
Eberhard zitiert Sokrates und doziert über die
Schriftsteller Günter Grass und Kurt Vonnegut mit der gleichen
Leichtigkeit, mit der er Minuten später über Nuklearspaltung,
Treibhauseffekt und Marsmissionen parliert. Dabei überschlägt er sich
fast, als ob ihn der gerade formulierte Gedanke, kaum ausgesprochen,
bereits langweilt. Seine Gesprächspartner erschrickt Eberhard gern mit der
Aufforderung zum gemeinsamen Lösen von komplexen Kopfrechenaufgaben.
Vielleicht liegt das daran, dass Eberhard in den wilden
Sechziger- und Siebzigerjahren in dem Universitätsstädtchen Berkeley
aufwuchs. Dort unterrichtete sein Großvater, der 1933 aus Deutschland über
die Türkei und China in die USA geflüchtet war, Sinologie. Eberhards
jüdische Großmutter hatte zum sofortigen Verlassen des Landes gedrängt,
nachdem sie in Berlin eine Rede von Hitler gehört hatte.
Eberhard, dessen Vater für den US-Baukonzern Bechtel
arbeitete, gründete gleich nach dem Studium die Computerfirma Network
Computing Devices, die er 1992 an die Börse brachte. Mit einem Teil der
Einnahmen gründete der Literatur-Liebhaber in Palo Alto gleich ein neues
Unternehmen, NuvoMedia, und entwickelte das RocketBook, ein 600 Gramm
schweres elektronisches Buch mit über 4 000 Seiten. Eberhard reichte
NuvoMedia im Frühjahr 2000 für 187 Millionen Dollar an den Wettbewerber
Gemstar weiter.
Den Deal wollte der frischgebackene Multimillionär mit dem
Kauf eines neuen Sportwagens feiern. Sein Z3 war bereits in die Jahre
gekommen. Was Eberhard in den Autohäusern präsentiert wurde, Ferraris,
Porsches, Aston Martins oder Jaguars, brachte ihn auf eine neue
Geschäftsidee.
Die durchweg hohen Verbrauchswerte der Sportwagen weckten
seine Neugier und seinen Ehrgeiz. Eberhard besorgte sich Material über
Elektroautos wie den Zweisitzer EV1, den General Motors nach einer
Milliardeninvestition in Technik und Marketing 1996 auf den Markt gebracht
- und sieben Jahre später, nach dem Verkauf von gerade einmal 1 100
Exemplaren, wieder eingestellt hatte. "Der EV1", so Eberhard, "musste
scheitern, weil seine Reichweite zu gering war." Mit einer Füllung der
ventilregulierten Blei-Säure-Batterie (VLRA) kam der 40 000 Dollar teure
Wagen gerade einmal 100 Kilometer weit. Die Fahrer waren deshalb stets in
Sorge, ob sie rechtzeitig eine der wenigen Strom-Tankstellen erreichen
würden. "Das ist so, als ob man ständig auf Reserve fährt", so Eberhard.
Inzwischen ist die Technik jedoch ein ganzes Stück weiter.
Aufgrund des steigenden Bedarfs an immer leistungsfähigeren Akkus etwa für
Laptop-Computer und Mobiltelefone hat sich die Kapazität der aufladbaren
Stromspeicher in den vergangenen Jahren bei sinkenden Preisen wesentlich
verbessert. Wenn man diese Akkus nutzen könnte, so Eberhards Kalkül, wäre
man das Reichweitenproblem los, ohne selbst groß in Technik investieren zu
müssen.
Seine Überlegungen legte Eberhard vor drei Jahren seinem
langjährigen Geschäftspartner Marc Tarpening vor: "Marc holt mich immer
auf den Boden zurück." Doch Eberhards Argumente überzeugten sogar den
Skeptiker.
Gemeinsam machten sich die Unternehmer im Sommer 2003 auf
den Weg zu den Wagnisfinanzierern an der berühmten Sand Hill Road in Menlo
Park. Dort Termine zu bekommen war für sie bei Eberhards Vergangenheit
kein Problem.
Die Risikokapitalgeber hörten auch aufmerksam zu, winkten
dann aber ab. Zu verrückt erschien ihnen die Idee, mit Notebook-Akkus ein
Elektroauto antreiben zu wollen und damit der etablierten Autoindustrie
Konkurrenz machen zu wollen. "Die haben sich einfach nur amüsiert",
erinnert sich Eberhard.
Tesla Motors wäre ein Wunschtraum geblieben, gäbe es nicht
die Mars Society. Der 1998 gegründete Verein, dem Wissenschaftler,
Ingenieure, ehemalige Astronauten, aber auch Schauspieler und allerhand
Sciene-Fiction-Fans aus aller Welt angehören, hat sich die Besiedlung des
roten Planeten zum Ziel gesetzt. So wie Mitglied Eberhard, der auf der
Jahrestagung 2003 an der Stanford Universität den Ehrengast Elon Musk
kennenlernte. Der 35-jährige Internetunternehmer will die erste private
Weltraumrakete entwickeln. Das nötige Kapital dafür hat er: Musk ist
Mitgründer des Online-Bezahldienstes PayPal, der im Herbst 2002 für 1,5
Milliarden Dollar an Ebay verkauft wurde.
Im Februar 2004 flog Eberhard nach Los Angeles, im
Handgepäck den Plan für den Tesla. Aus den mit Musk vereinbarten 30
Minuten wurden zwei Stunden.
Schließlich stieg Musk mit 27 Millionen Dollar aus seinem
Privatvermögen als Hauptfinanzier bei Tesla ein. "Ich sehe einen
elektrischen Sportwagen als Möglichkeit, das Verhalten der Amerikaner zum
Automobil fundamental zu verändern", erklärt Tesla-Finanzier Musk sein
Engagement. Er stellte nur eine Bedingung: "Das muss alles in 23 Tagen
abgewickelt sein, danach habe ich keine Zeit mehr." Musks Ehefrau war
damals mit Zwillingen schwanger.
Auch für Eberhard, Tarpening und deren Anwälte wurde es
eine schwere Geburt. Die Gründung von Tesla Motors und die Ausarbeitung
der Finanzierungsverträge forderte alle Kraft. "Doch Elons Kapital und
seine Reputation brachten den Durchbruch", berichtet Eberhard. Als bekannt
wurde, dass Musk das Projekt finanzieren wollte, standen weitere
Investoren Schlange. Die beiden Google-Gründer stiegen ein, ebenso wie die
Risikokapitalverwalter Vantage Point, Draper Fisher Jurvetson sowie die
Investmentbank J.P. Morgan.
Ähnlich unkonventionell wie die Gründung von Tesla Motors
verlief die Suche nach einem Unternehmen, das die Autos im Auftrag
fertigen konnte.
Schon auf der Motor Show in Los Angeles im Januar 2004
hatten Eberhard und Tarpening ihre Unterlagen auf dem Stand des britischen
Sportwagenbauers Lotus hinterlegt.
Die Briten luden Eberhard wenig später in ihr
Hauptquartier nach Norfolk ein, seine Pläne persönlich vorzustellen. Die
Lotus-Ingenieure erwärmten sich so sehr für das Projekt, dass einige
gleich zu Tesla Motors wechselten, unter ihnen Malcolm Powell,
Chefingenieur für Fertigungsfragen. Er heuerte bei Tesla als Vizepräsident
für Fahrzeugintegration an.
Dennoch brach das Unternehmen seine Geschäftsbeziehung zu
dem Kalifornier nicht ab. Während Chassis und Karosse des Tesla-Roadsters
in England allmählich Gestalt annahm, tüftelten in einer Halle im
kalifornischen San Carlos Ingenieure Tag und Nacht am Antrieb des
Sportwagens. Vor allem an der Batterietechnik. Mit dem Einkauf
handelsüblicher Akkus war es nicht getan. Die größte Herausforderung: die
empfindlichen, leicht entzündlichen Stromspeicher so zusammenzufügen, dass
sie nicht explodieren oder dem Fahrer bei einem Unfall tödliche
Stromschläge verpassen.
Durch Unfälle in der Computerbranche waren die
Tesla-Ingenieure vorgewarnt. Sie lösten das Problem, indem sie jede
einzelne Zelle ummantelten, zusätzlich einen Kühlkreislauf installierten
und das Batterie-Paket in elf Sektoren mit jeweils 621 Einzelzellen
aufteilten. "Selbst wenn einzelne Zellen abbrennen sollten, wird der Akku
kein Feuer fangen", versichert Eberhard.
Auch bei dem mächtigen, 248 PS starken Tesla-Motor, der
auf Taiwan montiert wird, erwies sich die Kühlung als die größte
Herausforderung. Der von dem serbischen Ingenieur Nicola Tesla 1880
erfundene Drehstrommotor, den Eberhard in seinen Roadster einbaut, lässt
einen Zylinder in einem Magnetfeld rotieren. Da sich außer dem Zylinder
keine beweglichen Teile im Motor befinden, wird die Kraft unmittelbar und
schnell auf die Räder übertragen, was für sehr gute Beschleunigungswerte
sorgt. Allerdings läuft der Motor auch schnell heiß.
Eberhard löste das Problem, indem er den Motor mit einem
speziellen Stahl ummantelte. Der Zylinder selbst wird in einem eigens
entwickelten Verfahren aus hochwertigem Kupfer hergestellt. So erreicht er
Drehzahlen von bis zu 13 500 Umdrehungen pro Minute. Zum Vergleich: Der
Enzo von Ferrari, das Topmodell des italienischen Sportwagenherstellers,
dreht mit höchstens 8 000 Touren.
Weitere Modelle geplant
Damit möglichst viele Menschen Gefallen an dem Tesla
finden, will Eberhard "gegen Ende der Dekade vielleicht" eine viersitzige
Limousine mit Elektroantrieb nachschieben. Die Arbeiten an dem
Mittelklasseauto mit dem Codenamen "White Star" haben in Kalifornien und
England schon begonnen.
Daran, den Elektro- mit einem Benzinmotor zum Hybridauto
zu koppeln wie die großen Autohersteller der Welt, hat Unternehmensgründer
Eberhard übrigens nie gedacht: "Dann würden wir ja die Welt nicht
verbessern."
Von Matthias Hohensee, Wirtschaftswoche